Montag, 20. Februar 2012

Der geheimnisvolle Golo Ganter

Es geht doch nichts über eine gepflegte Verwechslungskomödie! Während sich die Figuren abmühen, ohne zu begreifen, was eigentlich Sache ist, genießt das Publikum seine Überlegenheit und lehnt sich mit einem wissenden Lächeln zurück. Anstatt mit den Protagonisten mitzufiebern, amüsiert es sich über die Missverständnisse, in welche diese sich verstricken. Jeder Mensch ist eben bis zu einem gewissen Grad sadistisch veranlagt. Oder habt ihr eine bessere Erklärung parat? Geschenkt. Denn selbst wenn wir von elaborierten laienpsychologischen Erklärungsversuchen absehen, so bleibt doch die Erkenntnis bestehen, dass das Motiv der Verwechslung seit jeher zum Grundstock der humoristischen Literatur gehört. Wie ein roter Faden zieht es sich durch die Geschichte der Komödie: Von Plautus bis Shakespeare, von Nestroy bis Faraci.
Ihr habt richtig gelesen: Faraci. Warum auch nicht? Zugegeben, er ist kein Shakespeare. Zumindest wurde ihm bisher noch nicht die Urheberschaft an seinen Werken abgesprochen. Aber trotz dieses kleinen Makels darf der vermutlich versierteste Humorist unter den modernen italienischen Comic-Autoren nicht unerwähnt bleiben, wenn es um Verwechslungskomödien geht. Wer sich davon selbst überzeugen will oder wer einfach nur erfahren möchte, was den scheinbar so abgebrühten Türsteher hier aus der Fassung bringt, dem sei "Der geheimnisvolle Golo Ganter" ans Herz gelegt.


Es ist eine dieser Storys, deren Bekanntheit in keinem Verhältnis zu ihrer Qualität steht. Abgesehen von ihrem Entstehungsland Italien, wo sie in der Nebenreihe "Paperino Mese" veröffentlicht wurde, erschien sie bislang lediglich in Griechenland und Deutschland. Ein Grund mehr, sich an dieser Stelle etwas näher mit ihr zu beschäftigen.

Zunächst zur Handlung: Um den berühmten Designer Golo Ganter für sein Modehaus zu engagieren, veranstaltet Dagobert zu dessen Ehren eine High-Society-Party. Dabei fällt Donald die Aufgabe zu, den Modezar vom Flughafen abzuholen und auf die Party zu begleiten. Da die Einladung für zwei Personen gilt und Donald Franz das üppige Büffet nicht vorenthalten möchte, verabredet er sich mit ihm vor dem Eingang des Clubs. Nun verhindert jedoch der dichte Nebel an diesem Abend, dass Ganters Privatjet rechtzeitig landet, so dass Franz alleine eintrifft und sogleich für Golo Ganter gehalten wird, den kaum einer je zu Gesicht bekommen hat. Zur gleichen Zeit nimmt Donald aufgrund des Nebels die falsche Abfahrt und landet zusammen mit dem echten Designer auf einem ländlichen Bürgerfest. Eine durchaus heilsame Verwechslung, wie sich bald herausstellt...
Die Komik beruht in erster Linie darauf, dass Franz für Ganter gehalten wird, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Daraus ergibt sich eine Reihe von Missverständnissen, die veranschaulichen, wie doppeldeutig doch die Sprache ist, wenn die Kommunizierenden von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen. So kommt es dazu, dass Franz die Aussagen und Fragen der anderen Gäste in einem allzu buchstäblichen Sinne versteht.


Die Gäste wiederum legen in seine unschuldigen Antworten eine nicht vorhandene tiefere Bedeutung, da sie in dem Irrglauben befangen sind, mit einem Modezar zu sprechen.


Faraci lässt die sich hieraus entwickelnde Komik jedoch nicht in einer Szene kulminieren, welche die Verwechslung aufklärt. Das Missverständnis bleibt vielmehr bis zum Schluss bestehen und erweist sich kurioserweise als Glücksfall für alle Beteiligten. Während nämlich die Party dank Franz und seiner ebenso jovialen wie sinnenfreudigen Art auf Hochtouren läuft, entdeckt Golo Ganter auf dem Bürgerfest die Vorzüge des einfachen Lebens wieder. Dieser erzählerische Twist hebt die Story geschickt vom Gros der Verwechslungskomödien ab, indem er eine philosophische Dimension ins Spiel bringt. So kommt die Loslösung von der eigenen Identität im Falle Ganters einer lang ersehnten Befreiung gleich.


Man achte bei dieser herrlichen Panelsequenz darauf, dass sich der Hintergrund ständig verändert, während im Vordergrund relativ wenig geschieht. Diese von Faraci gerne verwendete Technik erlaubt es, den Erzählrhythmus zu variieren und einzelne Szenen präziser zu entwickeln. Durch die geringe Bewegung im Vordergrund wird in diesem Fall nicht nur die Gemütlichkeit des Ambientes verdeutlicht, sondern auch die Zufriedenheit Golo Ganters veranschaulicht. Der zunächst als selbstgefälliger Schnösel eingeführte Designer profitiert von der Verwechslung genauso wie die dekadente Abendgesellschaft im Club, welche durch die Anwesenheit von Franz ihre Lebensfreude wiederentdeckt. Am Ende sind daher alle einer Meinung:


Das Artwork von Deiana lässt sich im positiven Sinne als adäquat bezeichnen. Nicht nur gelingt es ihm, Faracis Gags passend zu visualisieren, sondern er beweist auch gerade bei der zeichnerischen Gestaltung der Partygäste ein gewisses Maß an Kreativität. Nun gut, manch anderer Künstler hätte vermutlich mehr auf den Putz gehauen. Ich bin mir allerdings nicht einmal sicher, ob dies der Komik des Geschehens überhaupt zuträglich gewesen wäre.

Was bleibt, ist eine ebenso hervorragend konstruierte wie einfallsreiche Gagstory, die mit dem Verwechslungsmotiv geschickt spielt, ohne darin jedoch vollends aufzugehen. Darüber hinaus lässt sich Faracis Skript auch als ein Paradebeispiel dafür auffassen, wie man auf produktive Weise mit der oft kritisierten Figur des Franz Gans umgehen kann. Reduziert man den faulen Knecht auf seine abnormalen Schlaf- und Essgewohnheiten, so befindet man sich in einer narrativen Sackgasse. Konzipiert man ihn hingegen als einen Lebenskünstler, der mit einer Welt konfrontiert ist, die es verlernt hat, zu genießen, so eröffnet sogar diese scheinbar einseitige Figur unverbrauchte Möglichkeiten des humoristischen Erzählens.

Storycode: I PM 203-1
Originaltitel: Paperino, Ciccio e il mega-party modaiolo
Story: Tito Faraci
Zeichnungen: Salvatore Deiana

13 Kommentare:

  1. Schön! Die erste weniger bekannte Story im Blog. Kann mich noch richtig an diese Story erinnern, das passiert eher selten nach so einer langen Zeit. Überhaupt hat ja Faraci zu dem Zeitpunkt öfters mit Deiana gearbeitet und einige Storys geschrieben, die weder in Italien noch hier gross rausgekommen sind...da gibts durchaus noch was zu entdecken.

    Übrigens, meines Wissens wird im MPG momentan gerade "Pianeta T" veröffentlicht....bitte, bitte, bitte!

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    1. Zu den "Cronache dal Pianeta T" wird es auf jeden Fall einen Blogeintrag geben. Allerdings sind in Frankreich bisher erst zwei von insgesamt sechs Teilen erschienen (die Weihnachtsstory mal außen vor gelassen). Leider haben die Franzosen die lästige Angewohnheit, hin und wieder Reihen einfach abzusetzen. So warte ich nach wie vor auf die übrigen Teile der zweiten "Topolinia 20802"-Staffel. Bei "Pianeta T" bin ich jedoch guter Dinge, dass das nicht passieren wird. Wenn doch, wäre das zu ärgerlich: Die ersten zwei Teile gefallen mir nämlich wirklich gut - sowohl inhaltlich als auch zeichnerisch.

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    2. "Zu den 'Cronache dal Pianeta T" wird es auf jeden Fall einen Blogeintrag geben" Ach wirklich ;).
      Hinter dieser recht simplen Geschichte, steckt tatsächlich mehr, als man beim ersten lesen denkt. Sehr raffiniert und lustig!

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    3. Die Mitarbeiter aus der Marktforschungsabteilung haben mir damals nahegelegt, dass ein solcher Blogeintrag nicht zielgruppengerecht wäre.

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  2. Hä? Was meinen die mit "nicht zielgruppengerecht"?

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    1. Ich glaube, das war eher als Witz gemeint, schließlich glaube ich kaum, dass Kopekobert eine Marktforschungsabteilung für seinen Blog hat... ;)

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    2. Kopekobert hat mich diesbezüglich auch noch mal angesprochen:
      Zitat: "Mein Kommentar ("nicht zielgruppengerecht") war übrigens lediglich eine ironische Anspielung auf die Marktforschungsabteilung von "Egmont Ehapa", die auf die Auswahl der Geschichten offensichtlich einen eher unheilvollen Einfluss ausübt. So hat sich Peter Höpfner in der Vergangenheit des Öfteren auf deren Erhebungen berufen, um uns davon zu überzeugen, dass bestimmte Storys (z. B. Literaturparodien) für das junge Publikum (die Zielgruppe) ungeeignet sind. Dieser fadenscheinigen Begründung habe ich mich in Reaktion auf Huweys Anmerkung bedient, um scherzhaft zu "rechtfertigen", warum ich den angekündigten "Pianeta T"-Eintrag nie geschrieben habe."
      Ich: "Aber was soll an Literaturparodien "nicht zielgruppengerecht" sein? Ist doch schön, wenn die Zielgruppe ein berühmtes Werk kennenlernt, oder nicht?"
      Er: "Natürlich ist es schön. Wie ich schon angedeutet habe, halte ich das Argument für ziemlich albern. Bei "Novecento" hieß es damals: Das Buch kennt doch niemand. Zum Glück wurde die Adaption von Faraci und Cavazzano dann trotzdem im zweiten Band der Maus-Edition abgedruckt. Inzwischen hat in diesem Punkt anscheinend ein Umdenken stattgefunden ("Dracula", "Moby Dick"). Die "Pianeta T"-Saga ist übrigens gleich aus zwei Gründen "nicht zielgruppengerecht": Sie ist sehr lang (193 Seiten) und spielt im Maus-Universum. Da du Sciarrone nicht magst, würdest du mit dem Comic vermutlich sowieso nicht allzu viel anfangen können."
      Ich: "Vielleicht. Die Geschichte ist ja im Inducks sehr schlecht bewertet (6,8), wegen mir muss diese Geschichte nicht unbedingt abgedruckt werden. Mir wäre da Castys Quandomai oder imperio sottozero viel lieber. Gerade letzteres sollte mit Platz 29 auf der Inducks-Rangliste unbedingt bald veröffentlicht werden. Neunzehnhundert war auch hervorragend, wobei ich beim Lesen gar nicht wusste, dass es auf ein Buch anspielt."
      Er: "Das ist ja der beste Beweis dafür, dass man das Original nicht kennen muss, um die Story mit Genuss zu lesen. Übrigens wurde das Werk von Baricco auch schon verfilmt (https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Legende_vom_Ozeanpianisten)."
      Ich: "Ja, das sieht gut aus, nur leider um eine halbe Stunde verkürzt. Aber Literaturparodien passen einfach ins LTB. Ich hätte auch gerne die zu "I married a witch", auch wenn ich den Film nicht kenne. Das mit dem "nicht zielgruppengerecht" hört sich an, als ob sich Egmont für jede gute oder lange Geschichte eine Ausrede einfallen lässt, nur um schlechte Geschichten abzudrucken. Das nächste LTB sieht auch nicht sonderlich gut aus; allerdings macht das LTB Spezial 71 auf Quandomai Hoffnung. Das wäre dann ein Plichtkauf. Bitte, Ehapa, bitte! "
      Er: "Ja, es wäre schön, wenn sie die Gelegenheit nutzen würden. Die Erfahrungen der Vergangenheit lehren uns jedoch, fürs Erste skeptisch zu sein. "Quandomai" ist auf jeden Fall spannend erzählt und schön gezeichnet, gehört allerdings nicht zu meinen Lieblingscomics von Casty, was vor allem an der Auflösung der Story liegt, mit der ich nicht so viel anfangen kann. Dennoch ist die Geschichte natürlich sehr lesenswert und sollte unbedingt endlich im deutschsprachigen Raum erscheinen. "
      ...

      Und was kommt? Ehapa verpasst die einmalige Chance und druckt den (für 2011 angekündigten) Casty wieder nicht ab.

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    3. Die Inducks-Bewertungen sind sicher hilfreich, aber man sollte sie nicht absolut setzen. "Der geheimnisvolle Golo Ganter" beispielsweise hat eine grauenhafte Position (30031 von 32505), ist laut Kopekobert aber ein echter Geheimtipp.

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    4. Auch ich ziehe das Inducks-Ranking ab und an als zusätzliche Orientierungshilfe zurate, bin jedoch zugleich der Meinung, dass es mit Vorsicht genossen werden sollte. Für viele Geschichten liegen schlicht und ergreifend zu wenige Bewertungen vor, um von einem repräsentativen Ergebnis sprechen zu können. In solchen Fällen verfügt bereits ein einzelner User über die Macht, erheblichen Einfluss auf die Platzierung zu nehmen. Andere Storys profitieren wiederum davon, dass ein Großteil der abstimmenden Fans nostalgische Erinnerungen mit ihnen verbindet. Da es an Transparenz fehlt, lässt sich zudem nicht nachvollziehen, wie der jeweilige Notenschnitt letztendlich zustande gekommen ist.

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  3. Ich habe den Comic bisher noch nicht gelesen und jetzt richtig Lust darauf bekommen. Auch Deianas Zeichnungen sehen schön aus und Faracis Storys sind (welt)klasse - meistens zumindest.

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    1. Vielen Dank für deinen Kommentar!
      Es freut mich sehr, dass mein Blogeintrag in dir die Lust auf die Lektüre dieser Geschichte geweckt hat. Mehr kann man sich als Rezensent eigentlich nicht wünschen.

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  4. Mal wieder ein großartiger Blogeintrag, der mich sehr neugierig auf die Geschichte gemacht hat (auch wenn die Zeichnungen anscheinend nicht die besten sind)! "Ihr habt richtig gelesen: Faraci. Warum auch nicht? Zugegeben, er ist kein Shakespeare. Zumindest wurde ihm bisher noch nicht die Urheberschaft an seinen Werken abgesprochen. Aber trotz dieses kleinen Makels..."
    Einfach herrlich! Du schreibst die besten Texte über Comics, die ich kenne. Da traue ich mich kaum an eine Rezension für die M.O.U.S.E.

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    1. Vielen Dank!
      Es freut mich, dass ich deine Neugier wecken konnte. Solltest du die Geschichte irgendwann einmal zwischen die Finger bekommen, würden mich deine Leseeindrücke natürlich interessieren.
      Übrigens musste ich bei der Gelegenheit erneut daran denken, wie bedauerlich ich es finde, dass sich Faraci seit geraumer Zeit bloß noch äußerst sporadisch den Enten widmet. So sehr ich seine Maus-Comics schätze: Lesenswerte Duck-Storys wachsen auch in Italien nicht gerade auf den Bäumen. Darüber hinaus besitzt er die Fähigkeit, scheinbar festgefahrenen Nebenfiguren neues Leben einzuhauchen. Von einer solchen "Frischzellenkur" könnte der eine oder andere LTB-Dauergast im Grunde nur profitieren.

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