Mittwoch, 31. August 2011

Maus im Trenchcoat - Frau in Zartrosa

Bei Egmont sprudelt man ja bekanntlich vor Ideen. Ob dies der frischen Seeluft in Dänemark geschuldet ist? Wir werden es wohl nie erfahren. Die Einführung der Reihe "Ein Fall für Micky" stellt dabei nur einen der zahlreichen kreativen Höhenflüge dar. Über die Ursprünge des Projekts ist nur wenig bekannt. Ich habe aber so meine Vermutungen. Wahrscheinlich schwang sich eines Tages einer der Mitarbeiter auf und rief: "Hey, lasst uns der Maus einen Trenchcoat kaufen! Der passt zwar überhaupt nicht zu ihren seltsamen Schuhen, aber bei dem Sauwetter, das in unseren Storys künftig herrschen wird, kann sie ihn gut gebrauchen." Gesagt, getan. Die Maus wurde neu eingekleidet, nur um sie einige Jahre später bis aufs letzte Hemd auszuziehen. Dass sich Micky hierbei nicht erkältet hat, grenzt an ein Wunder. Lediglich die Leser reagierten verschnupft. Aber das ist eine andere Geschichte...


Doch genug des Spottes. Was steckt wirklich hinter dem Anfang der 90er Jahre entwickelten Konzept? In erster Linie ist es eine Beförderung Mickys vom Hobbyschnüffler zum professionellen Privatdetektiv. Als solcher lebt er natürlich nicht in einem spießigen Einfamilienhaus. Ein echter Detektiv wohnt in einem verlausten Büro. Auch Freunde kann man sich in dieser Position verständlicherweise nicht leisten. Lächerliche Lackel wie Goofy oder treuherzige Handwerkerseelen wie Rudi würden einfach nicht ins Bild passen. Also weg mit denen. Dasselbe gilt für Dauerversager à la Kater Karlo. Dieses Entenhausen ist nur was für harte Kerle. Und genau das macht den Reiz der Serie aus.
In Deutschland erschien der Großteil der Geschichten aus dieser Reihe in den "Ein Fall für Micky"-Hundertseitern. Mit einigen wenigen Ausnahmen: "Die Frau in Zartrosa", geschrieben von Bob Langhans und gezeichnet von Joaquín, ist eine solche. Diejenigen, die sogar nach der Lektüre meines Textes noch Lust verspüren, den Comic zu lesen, seien auf das Lustige Taschenbuch Nr. 222 verwiesen.

Zur Handlung nur soviel: Micky ist vergiftet worden. Bei der Suche nach dem Gegengift muss er sich notgedrungen auf ein makabres Katz-und-Maus-Spiel mit seiner Mörderin in spe einlassen. Findet er sie nicht rechtzeitig, ist sein Schicksal besiegelt. Es beginnt ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit, den der zunehmend geschwächte Mäuserich nur mit Hilfe eines zwielichtigen Kollegen gewinnen kann.
Klingt spannend, oder? Ist es auch. Noch bemerkenswerter als die Story ist in meinen Augen jedoch der für einen Disney-Comic ungewöhnliche Umgang mit dem Thema Tod. Zwar schweben die Entenhausener auch sonst gelegentlich in Lebensgefahr, die Bedrohung ist allerdings zumeist lediglich implizit vorhanden und nur vorübergehend akut. Hier hingegen basiert die gesamte Geschichte auf der Prämisse des nahezu unausweichlichen Ablebens ihres Protagonisten. Langhans lotet die Grenzen des Erlaubten aus: Er spielt mit einem Tabu, ohne es letztendlich zu brechen. Das Motiv des Todes wird dabei nicht auf seine dramaturgische Funktion reduziert, es bestimmt auch die Atmosphäre des Geschehens. Das gipfelt an einigen Stellen in eine Ästhetik des Morbiden, wie man sie in einem Disney-Comic nicht erwarten würde.


Micky kann sich für dieses kunstvolle Arrangement offenbar nicht erwärmen. Wer will es ihm verdenken? Doch auch den Leser beschleicht ein mulmiges Gefühl: Obgleich die 'Leiche' nur aus Wachs ist, erweist sich das Bild als wirkungsvoll, weil es dem Leser die Möglichkeit des Undenkbaren vor Augen führt.
Der drohende Tod Mickys ist noch aus einem anderen Grund reizvoll: Auf einen Schlag befindet sich der toughe Ermittler in einer Situation äußerster Schwäche und Ausgeliefertheit. Welche Entscheidungen wird er in dieser extremen Lage treffen? Auch hier zeigen sich Unterschiede zur traditionellen Charakterisierung der Figur. Nicht nur, dass die Trenchcoat-Maus nicht davor zurückschreckt, Unschuldige zu bedrohen, sie akzeptiert auch die Hilfe eines mehr als halbseidenen 'Kollegen'. Sicher, Mickys übliche Freunde sind nicht anwesend und Kommissar Hunter erweist sich als wenig hilfreich. Insofern muss ihm im Grunde jede Unterstützung recht sein, die er bekommen kann. Dennoch: Die unkonventionelle Kooperation ist Sinnbild einer gnadenlosen Welt, in der man es sich nur selten erlauben kann, Skrupel zu haben. Es ist schlichtweg ein etwas anderes Entenhausen, in dem sich Micky bewegt. Dies muss bei der Bewertung seines Verhaltens berücksichtigt werden.
Was hat es nun überhaupt mit diesem 'Kollegen' auf sich? Viel erfährt der Leser nicht über ihn, außer dass er Ricko heißt und gerne seine Klienten behumpst. Dass er ein unangenehmer Geselle ist, wird an mehreren Stellen deutlich. Hier zum Beispiel:


Naja, ich sagte es ja bereits: Nur für harte Kerle! Ricko ist so einer. Für Micky ist das ein Segen, da ihn die Kräfte zunehmend verlassen und es in seiner Lage mit detektivischem Spürsinn allein nicht getan ist. Ohne die tatkräftige Hilfe des resoluten Rauhbeins wäre er geliefert. Womit ich bei einem weiteren Aspekt angelangt bin, der diesen Comic vom Gros abhebt: Die tiefgründige Behandlung des Themas Freundschaft. Nicht zufällig ist es ausgerechnet ein kleinkrimineller Schmalspurschnüffler, der Micky in dessen schwächster Stunde als Einziger zur Seite steht. Auch wenn die beiden sonst nicht viel verbindet: Als es drauf ankommt, erweist sich Ricko als Freund in der Not. Ein alter Bekannter wie der Gesetzeshüter Hunter hingegen belässt es bei Gesten, die genauer betrachtet halbherzig wirken. In einer Welt, in der sich selbst charakterlich fragwürdige Figuren zu wahrer Größe aufschwingen können, verliert die in Disney-Comics oft strikte Grenze zwischen den Guten und den Bösen an Konturen. Man könnte auch sagen: Die moralische Stellung der Akteure ist nicht mehr durch ihre gesellschaftliche Rolle definiert, sondern einzig und allein durch ihre Handlungen.

Solche Überlegungen machen deutlich, warum es vonnöten war, Micky sozial zu entwurzeln. Die Serie würde nicht funktionieren, wenn er weiterhin in einem intakten Umfeld leben dürfte. Nun kann man das Fehlen der vertrauten Figuren und des klassischen Disney-Charmes natürlich als Manko auffassen. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass dieser Charme auch seinen Preis hat: Er beschränkt die Künstler in ihren Möglichkeiten. Hin und wieder schadet es daher sicher nicht, unbeschrittene Wege zu erkunden.

Storycode: D 94021
Originaltitel: The Woman In Lavender
Story: Bob Langhans
Zeichnungen: Joaquín Cañizares Sanchez

Donnerstag, 4. August 2011

Dr. House... äh... Mouse

Ich hab's ja nicht so mit Krankenhausserien. Wirklich nicht. Das Setting deprimiert mich einfach. Ist halt so. Entsprechend wenig bin ich mit der Erfolgsserie Dr. House  vertraut. Klar, jeder kennt Hugh Laurie in der Rolle des exzentrischen Misanthropen. Aber darüber hinaus? Nur gut daher, dass die vor zweieinhalb Jahren in Italien erschienene Parodie aus der Feder von Fausto Vitaliano ihren Weg bisher nicht nach Deutschland gefunden hat. Ich würde ja gar nichts verstehen - Hilfe! Nun, Egmont Ehapa beschützt uns zum Glück vor solchen peinlichen Situationen. Literatur-, Film- oder Serienparodien im LTB? Die Verkaufszahlen würden vermutlich drastisch zurückgehen. So ein obskures Zeug kann man ja niemandem zumuten.
Tor, der ich bin, lese ich aber auch das französische Pendant zum LTB. Und prompt gehe ich in die Falle. Tischen uns doch die Franzosen dieses Machwerk auf! Was sagt man dazu?! Zähneknirschend habe ich mich dazu durchgerungen, dem Comic eine Chance zu geben - obwohl ich Einheitsbrei bevorzuge und Micky doof finde. Aber tun wir das nicht alle?

Also zur Sache: Who the hell ist eigentlich dieser Dr. Mouse?


Ach, der da!
Ich weiß nicht, was ich besser finden soll: Die Sänfte oder den schwungvollen Dreifachhieb mit dem Gehstock? Wie auch immer. Im Kino (und auch in TV-Serien) besteht die Kunst darin, die Hauptfigur auf prägnante Art und Weise einzuführen. Man zielt damit darauf ab, eine bestimmte Reaktion beim Zuschauer zu bewirken, beispielsweise: "Ah, um den geht's. Der macht einen interessanten Eindruck!" Vitaliano und Perina meistern diese Anforderung gekonnt. Die Quintessenz seines Charakters wird bereits in diesem ersten Bild mehr als deutlich: Mouse ist ein arroganter Zyniker, der uns trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - zum Lachen bringt. Von allen verwendeten Figuren agiert Micky am deutlichsten out of  character. Vom selbstlosen Musterbürger ist hier keine Spur: Mouse ist respektlos gegenüber seiner Vorgesetzten (Minni  als Dr. Lisa Cuddy), herablassend gegenüber seinen Mitarbeitern und schlichtweg dreist im Umgang mit seinen Patienten. Beispiel gefällig?


Messerscharfe Dialoge sind ohnehin eine Spezialität von Vitaliano. Hier läuft er zur Hochform auf.
Mouse interessiert sich offenkundig nicht für das Wohl  seiner Patienten. Er fühlt sich hilflos unterfordert und verarbeitet die Langeweile, indem er seine Umwelt piesackt. Ebenso wie seine Vorlage ist auch Mouse Spezialist für außergewöhnliche Krankheiten. Der Krankenhaus-Alltag ist ihm daher ein Gräuel. Beispielhaft hierfür ist das folgende Panel, in welchem Mouse sein Problem ausformuliert: "Seht euch bloß diese Patienten an, mit ihren banalen, uninteressanten Leiden... Es ist deprimierend!"


Auch dieses Panel strotzt vor kleinen Gags: Man achte auf die Würgeschlange! Zugegeben, der Patient mit Wartenummer 1113 ist ebenfalls nicht ohne.
Die Gags und trockenen Dialoge bilden fraglos das Zentrum der Story. Die Handlung, auf welche ich nicht eingehen werde, für den Fall dass es der Comic doch noch nach Deutschland schafft, ist dagegen recht unspektakulär. Insofern ähnelt die Parodie eher der Comedy-Serie Scrubs. Lebensbedrohliche Krankheiten, menschliche Tragödien und ähnliche Spaßbremsen werden ausgeblendet. Die dramatische Tiefe der Vorlage erreicht Vitalianos Adaption zu keinem Augenblick. Sie versucht es erst gar nicht. Und das ist auch gut so. Hirnblutungen & Co. haben in einem Disney-Comic nichts verloren. Sag ich jetzt mal.
Woran leiden die Patienten dann eigentlich? An einem eingewachsenen Nagel. Zumindest wenn man Goreman (Goofy) Glauben schenkt. Womit wir auch schon bei  den Assistenzärzten wären: Besagter Goreman, Cheesecake (Rudi) und Clarison (Klarabella). Deren Hauptfunktion besteht darin, sich gegenseitig herunterzuputzen. So wie hier:


 Oder auch hier:


*Hunz*. Wenn das mal nicht ein Soundword ist, das sich gewaschen hat. Schon allein dafür lohnt es sich, fremdsprachige Disney-Publikationen zur Hand zu nehmen.
Es wäre unpräzise, Goofy, Rudi und Klarabella als komische Sidekicks zu bezeichnen. Sicher, sie sind komisch. Aber die Hauptfigur ist es in noch stärkerem Maße. Normalerweise funktionieren Comics nicht, in denen alle Figuren außer Rand und Band sind. Es bedarf eines ernsthaften Gegenwichts, durch welches die Komik überhaupt erst zum Tragen kommt. Für dieses sorgen hier die Patienten, welche dem Irrsinn fassungs- und hilflos gegenüberstehen. Vitaliano reizt die Absurdität bis zur Albernheit aus. Der schmale Grat zwischen Komik und Lachhaftigkeit wird allerdings nur selten überschritten. Es mag Geschmackssache sein, aber einige Ideen finde ich einfach... verdammt witzig. Ärzte, die im Park auf potenzielle Patienten Jagd machen, ist eine davon.


An dieser Stelle sei auch das Artwork Perinas gewürdigt: Seine bildliche Umsetzung setzt der ohnehin schon lustigen Idee die Krone auf. Die Mimik der Figuren ist schlichtweg herrlich - und das nicht nur in diesem Panel.
Interessant ist nicht zuletzt, dass Vitaliano eine Figur entwirft, die Micky charakterlich zwar nicht im Geringsten ähnelt, dennoch aber dessen ewigem Schicksal nicht entgeht: Auch Dr. Mouse findet sich schließlich in der Rolle des Detektivs wieder. Maus kann halt nicht aus seiner Haut.

Lange Rede, kurzer Sinn: Liebe Redaktion, druckt diesen Comic in Deutschland ab! Aber dalli! Wenn mich nicht alles täuscht, hatten die Finnen mal  wieder ihre Finger im Spiel, also muss wohl eine Nebenreihe dafür herhalten. Auch recht. Ich meine: Was spricht dagegen? 69 Seiten Maus? Dass es eine Parodie ist? Lasst mich eure Bedenken entkräften: Selbst ein Ignorant wie ich war in der Lage, der Story zu folgen. Sicher, ich kann's verstehen: Gagstorys mit Helferlein, Achtmalacht oder Nimmermehr haben natürlich Vorrang. Aber wenn ihr mal  den Platz findet, dann zaudert nicht! Gott wird's euch vergelten. Naja, zumindest die Leser. Amen.

Storycode: I TL 2775-1P
Originaltitel: Dr. Mouse M.D.
Story: Fausto Vitaliano
Zeichnungen: Alessandro Perina