Nachdem sie zuvor hauptsächlich an Skripten für die italienische Comicreihe "W.i.t.c.h." gearbeitet hatte, rief die gebürtige Mailänderin 2009 gemeinsam mit Zeichner und Lebensgefährte Stefano Turconi die Serie "Pippo reporter" ins Leben. Ein ambitioniertes Projekt - und das in mehreren Hinsichten. So ist zunächst einmal der künstlerische Anspruch unverkennbar, eine Stimmung zu erzeugen, die den Leser in die USA der 1930er Jahre zurückversetzt. Zudem werden dank der unverbrauchten Konstellation auch erzählerisch neue Wege beschritten. Der Kunstgriff, auf Micky fast vollständig zu verzichten und dafür dessen ewigen Sidekick zum Protagonisten zu erheben, eröffnet der Autorin nämlich nicht nur größere Freiheiten im Storytelling, sondern verschafft ihr auch die Gelegenheit, der traditionellen Figurendynamik ungeahnte Aspekte abzugewinnen.
Neun Episoden sind bislang in Italien erschienen, von denen immerhin fünf den Weg nach Frankreich gefunden haben. Ob weitere folgen werden, ist angesichts der oft launischen Publikationspolitik der Franzosen derzeit nicht abzusehen. Für Deutschland ist nach letztem Stand eine Veröffentlichung am Sankt-Nimmerleins-Tag geplant.
Kommen wir nun zur Ausgangssituation: In einer namenlosen Großstadt an der US-amerikanischen Ostküste begegnen wir im Jahre 1933 einigen alten Bekannten wieder. Während die Stadt vom gutherzigen Bürgermeister Rudi Ross regiert wird, intrigiert im Hintergrund Plattnase, der als Verleger der auflagenstarken Tageszeitung "The Morning Blot" zugleich in die kriminellen Machenschaften einer von Kater Karlo befehligten Gangsterbande verwickelt ist. Unter den Journalisten des "Morning Blot" sticht derweil Goofy hervor, dem trotz seines schlichten Gemüts ein Scoop nach dem anderen gelingt, wobei er nicht selten die finsteren Pläne seines Chefs durchkreuzt, ohne es überhaupt zu bemerken. Tatkräftige Hilfe erhält er hierbei von seiner ebenso schusseligen wie liebenswürdigen Nachbarin Minni sowie der Wahrsagerin Klarabella.
Auf diesem trauten Fahndungsbild ist sie also vereint: Karlos Gangsterbande. Ein ulkiger Haufen, wie sich unschwer erkennen lässt, dessen Funktion in erster Linie darin besteht, für Belustigung zu sorgen. Unter den karikaturesk überzeichneten Schmalspurganoven stechen indes zwei Gestalten ganz besonders hervor: Biagio, der abergläubische Pessimist, dessen jederzeit geöffneter Regenschirm Sinnbild seiner Lebenshaltung ist, sowie Donnie, die einfältige Frohnatur, deren Verfressenheit der Bande mehr als einmal zum Verhängnis wird. Angesichts solcher Mitstreiter kann man Karlo trotz seiner schurkischen Absichten letztlich nur bemitleiden. So muss er nicht bloß ohnmächtig mit ansehen, wie seine Gaunereien ein ums andere Mal in einem Fiasko enden, sondern sich zu allem Überfluss auch noch vor Plattnase verantworten und dessen Zorn erdulden.
Insofern sich die Gangster regelmäßig selber schlagen, bleibt für Goofy nicht mehr allzu viel zu tun. Sein einziges Verdienst besteht in den meisten Fällen darin, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Entsprechend sind seine Erfolge mehr dem Zufall als seinen investigativen Fähigkeiten geschuldet. Im Grunde ist das durchaus konsequent, bedenkt man, dass er bereits seine Anstellung als Reporter einer glücklichen Fügung zu verdanken hatte. Er wollte eigentlich nur eine Pizza bestellen...
Das Motiv der glücklichen Fügung zieht sich von da an wie ein roter Faden durch die einzelnen, in sich abgeschlossenen Episoden. Sinnbildlich hierfür steht diese kleine Slapstick-Einlage:
Böse Zungen werden jetzt vom Glück des Dummen reden. Dabei legt Radices Charakterisierung Goofys im Grunde eine andere Deutung nahe. Erfolgreich ist er in meinen Augen gerade deshalb, weil er keine Ansprüche stellt und mit grenzenlosem Optimismus durchs Leben wandelt. Anstatt sich krampfhaft Ziele zu setzen, nimmt er die Dinge, wie sie kommen - und fährt gut damit! Man könnte auch sagen: So wie die pessimistische Haltung von Karlos Komplize Biagio das Unheil regelrecht heraufbeschwört, lässt Goofy durch seine ebenso naive wie unerschütterliche Zuversicht eine Wirklichkeit entstehen, die seiner Lebenseinstellung entspricht. Wahrnehmung und Realität verschmelzen hier zum Vorteil des Optimisten. Aus dem von Barks einst verpönten "half-wit" wird bei Radice somit ein bewundernswerter Lebenskünstler.
Die Segelohren kommen euch vermutlich bekannt vor. Wie ein Running Gag zieht es sich durch die ersten fünf Folgen, dass Micky generell nur von hinten oder in der Silhouette zu sehen ist. Zugleich erwähnt Minni immer wieder ihren Verlobten, der wegen dringender Geschäfte jedoch nie zugegen ist. Nun lassen diverse Hinweise zwar vermuten, wer sich dahinter verbirgt, zu einer Auflösung des Rätsels ist es bisher aber noch nicht gekommen.
Was an diesem Panel ebenfalls deutlich werden sollte, ist die hohe Qualität des Artworks, welches sich durch erstaunliche historische Präzision auszeichnet. Gekonnt fängt Turconi die Architektur und Mode der Zeit bildlich ein und erzeugt auf diese Weise einen akkuraten Hintergrund, von dem sich seine comichaft überspitzten Figurenzeichnungen kontrastiv abheben, womit er auf eine Technik zurückgreift, der sich auch Cavazzano in seiner Techno-Phase gerne bedient hat.
Bei allem Lob für das Artwork darf natürlich die Kolorierung nicht vergessen werden. Diese unterscheidet sich markant von der üblichen italienischen Farbgebung und trägt entscheidend zum Ambiente bei. So geben einem die an manchen Stellen überwiegenden Sepiatöne das nostalgische Gefühl, vergilbte Photographien zu betrachten, während andere Panels wiederum ausgeprägte Farbkontraste aufweisen, welche die Lebhaftigkeit des Geschehens zusätzlich akzentuieren. Beispielhaft hierfür steht diese Panelsequenz, welche nicht nur das den Jazz bestimmende Prinzip der Improvisation in humorvoller Manier verbildlicht, sondern auch die alte Cartoon-Technik des Zusammenspiels von Musik und Bewegung auf das "stumme" Medium des Comics anwendet.
Ist es nicht göttlich, wie der Pianist während des Spielens noch die Zeit findet, sich an der Schlägerei zu beteiligen? Aus Hintergrundgags wie diesem spricht der Spaß, den Radice und Turconi offensichtlich bei der Ausarbeitung ihrer Storys hatten - ein Spaß, der ansteckend wirkt. Ohnehin ist es nicht so sehr der Inhalt des Erzählten als vielmehr die Weise des Erzählens, welche den Reiz der Serie ausmacht. Und so stört es auch nicht weiter, dass die Plots der Episoden für sich genommen vergleichsweise simpel und unspektakulär daherkommen. Denn letzten Endes zählt die Umsetzung. Und die ist ohne jede Frage gelungen.
Alles in allem gilt es festzuhalten, dass "Pippo reporter" zu den interessantesten italienischen Disney-Comics der vergangenen Jahre gehört. Während sich die meisten aktuellen Autoren darauf beschränken, altbewährte Storymuster bloß zu reproduzieren, beweist das Duo Radice/Turconi sowohl hinsichtlich des Settings als auch in Bezug auf die Figurenkonstellation ein gehöriges Maß an Kreativität. Und so ist den beiden Künstlern eine Serie geglückt, welche nicht nur bestens unterhält, sondern auch die richtige Balance zwischen Originalität und Traditionsbewusstsein zu halten versteht. Es bleibt dabei: Disney und die 1930er Jahre - das passt einfach.
Storycode: I TL 2807-1 u.a.
Originaltitel: Pippo reporter
Story: Teresa Radice
Zeichnungen: Stefano Turconi